9. Oktober 2021

Klimaschutz, Gerechtigkeit, Solidarität – Unsere Anforderungen an eine neue Regierung



Immer mehr Krisen und immer weniger Zeit, sie zu lösen: Die Zeit der kleinen Schritte ist vorbei. Die nächste Bundesregierung muss durch einen echten Aufbruch die nötigen Veränderungen für eine lebenswerte Zukunft angehen.

Mit unserer #ZukunftErkämpfen-Kampagne sind wir mit tausenden Aktivist*innen in den letzten Monaten überall im Land für gerechte Arbeitsbedingungen, konsequente Klimapolitik und Geld für das gute Leben vor Ort auf die Straße gegangen. Wir haben mit verschiedenen Bewegungen für niedrigere Mieten, das Ende des Braunkohleabbaus und die Verkehrswende demonstriert. In so vielen Ortsgruppe wie noch nie waren wir mit unseren Aktionen auf Straßen und Plätzen, kamen mit Menschen ins Gespräch und haben mit unseren Forderungen Debatten geprägt. Überall haben unsere Aktivist*innen auf grünen Listen und in Direktwahlkreisen kandidiert, um die Forderungen der Grünen Jugend bis in den Bundestag zu bekommen. Mit einem stark gewachsenen Verband, mit unseren vielen neuen Abgeordneten und mit den sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und der
Zivilgesellschaft werden wir nun dafür kämpfen, dass wir endlich eine Regierung haben, die im Angesicht der Klimakrise entschlossen handelt und echte soziale Gerechtigkeit in unserem Land schafft.

Wir fordern nicht weniger als eine Welt, die Zukunft hat. Der Weg dorthin hat gerade erst begonnen.

Auf geht’s!

Mit dem Ergebnis zur Bundestagswahl können Bündnis 90/Die Grünen das stärkste Ergebnis ihrer Geschichte einfahren. Bei Menschen unter 30 Jahren sind Bündnis 90/Die Grünen die stärkste Partei geworden, was auch der Verdienst einer starken Grüne Jugend ist. Wir als Verband können uns über viele junge Abgeordnete aus
den eigenen Reihen im Bundestag freuen. Das Wahlergebnis ist ein Auftrag an uns, die zukunftszerstörende Politik der letzten Jahre zu beenden.

Bündnis 90/Die Grünen standen in diesem Wahlkampf durch teils sehr hohe Zustimmungswerte in Umfragen unter einem enormen Erfolgsdruck, dem das tatsächliche Wahlergebnis nur teilweise gerecht werden kann. Dies ändert jedoch nichts an der Notwendigkeit, weiter auf die Straße zu gehen, sich zu organisieren, zu bilden und Druck zu machen für echte Veränderung. Wir sind mehr als Wahlkämpfer*innen, die alle vier Jahre für linke Mehrheiten streiten, sondern ein starker Verband aus jungen Menschen, die Tag für Tag den Status Quo verändern wollen!

Deutlich wurde, dass dieser Wahlkampf eine andere Dynamik angenommen hat als bei früheren Wahlen: Grüne Ideen, insbesondere für einen sozialen und ökologischen Umbau der Wirtschaft wurden stark unter Beschuss genommen, die Anti-Grünen-Kampagne der neoliberalen Lobbyorganisation “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” stellt hierbei nur eines von vielen Beispielen dar.

Wirkliche Veränderung wird niemals ohne Widerstand möglich sein, sondern muss immer gegen andere Interessen durchgesetzt werden wie den Interessen von großen Konzernen, die auf Profite angewiesen sind und dafür unsere Zukunft auf diesem Planeten gefährden. Deshalb ist es umso wichtiger, sich der Unausweichlichkeit dieses Konflikts in Zukunft noch stärker bewusst zu machen, gemeinsam diesem Gegenwind standzuhalten und mit einer starken, in der Gesellschaft verankerten Linken für echte Veränderung zu kämpfen. Der gewonnene Berliner Volksentscheid zur Enteignung großer Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen und Vonovia ist dafür ein eindrückliches Beispiel.

Regierungsauftrag: Krisen lösen!

Die neue Regierung muss für einen echten Wechsel stehen: Konsequenter Klimaschutz und echte soziale Gerechtigkeit müssen zwingend zusammengebracht werden. Wichtige Investitionen in die Zukunft dürfen nicht am Dogma der Schwarzen Null scheitern.

Die Union hat im Wahlkampf gezeigt, dass sie für zukunftsfeindliche Politik steht. Sie stellen die Profite der Wenigen über die Interessen der Vielen. Sie hat keine Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit. Dafür wurde sie
abgewählt. Dem Wahlverlierer zur Kanzlerschaft zu verhelfen ist aus unserer Sicht keine Option. Es gibt nicht einen Grund für Jamaika – aber viele Gründe dagegen. Für uns kommt eine Jamaika-Koalition nicht in Frage.

Mit der SPD gibt es starke inhaltliche Überschneidungen, die eine gute Grundlage für die anstehenden Verhandlungen bilden. Die Gemeinsamkeiten müssen in einer möglichen Koalition deutlich werden und dürfen nicht auf Kosten der Reichen- und Klientelpolitik der FDP verloren gehen.

Der Regierungsauftrag für die nächste Regierung ist: Krisen endlich zu bekämpfen, statt sie zu verwalten, und Politik für die ganze Gesellschaft zu machen statt für wenige Reiche. Das bedeutet, dass Menschen am Ende des Monats mehr im Geldbeutel haben müssen als bisher und die Klimakrise mit aller Kraft bekämpft werden muss.

Ein Mitregieren von Bündnis 90/Die Grünen ist kein Selbstzweck. Wenn sie in eine Regierung eintritt, muss sie den Stillstand beenden. Wir unterstützen eine Regierungskoalition nur dann, wenn sich sowohl im Leben der Menschen spürbar etwas verbessert als auch die Klimakrise konsequent angegangen wird.

Jede Koalition wird sich daran messen lassen müssen, ob sie die Stillstandspolitik der letzten Jahre beenden und den Weg zu einer gerechteren Zukunft bauen wird. Dafür stellen wir an jeden Koalitionsvertrag klare
Erwartungen, die in der Regierung umgesetzt werden müssen.

Das Klima verträgt keine Kompromisse!

Die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens muss Bedingung jeder Koalition sein. Daraus ergeben sich zwangsläufig tiefgreifende politische Veränderungen und ein massives Umsteuern in der Klimapolitik. Dafür müssen in allen Bereichen und Sektoren deutliche Fortschritte erreicht werden. Der 1,5-Grad-Pfad und das völkerrechtlich bindende Pariser Klimaschutzabkommen kann dabei nur mit einem Kohleausstieg 2030 eingehalten werden. Der CO2-Preis muss bei einem vollständigen sozialen Ausgleich deutlich steigen. Die nächste Bundesregierung muss zudem die Weichen für die längst überfällige Verkehrswende stellen. Statt weiter Milliarden in unsinnige Autobahnprojekte und klimaschädliche Subventionen zu stecken, braucht es eine Investitionsoffensive in Busse, Bahnen und Radwege. Mobilität darf dabei keine Frage des Geldbeutels sein, sondern muss für alle erschwinglich werden.

Marktmechanismen alleine werden das Klima nicht retten: Ein gemeinsamer Koalitionsvertrag muss für alle Bereiche konkrete und wirksame Maßnahmen enthalten, die sicherstellen, dass wir die Pariser Klimaziele am Ende der
Legislaturperiode noch erreichen können. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass Klimaneutralität in Deutschland nicht durch Auslagerung der Emissionen und Produktionsfolgen in den Globalen Süden erreicht wird.

An der Einhaltung des 1,5-Grad-Pfades führt kein Weg vorbei.

Soziale Gerechtigkeit als Grundpfeiler jeder zukünftigen
Regierung

Bündnis 90/Die Grünen sind mit dem Versprechen angetreten, Klimaschutz und Gerechtigkeit zu verbinden. Das gilt es in einer grünen Regierungsbeteiligung konsequent einzulösen und Armut zu beenden. Deswegen ist für uns klar, dass die neue Bundesregierung den Mindestlohn so schnell wie möglich auf mindestens 12€ anheben muss, ohne Ausnahmen. Die Unterschiede im Lohn- und Rentenniveau zwischen Ost- und Westdeutschland müssen entschieden angegangen werden. Gerade junge Menschen, die eine Ausbildung machen, brauchen eine sichere Zukunftsperspektive. Eine Ausbildungsplatzgarantie und eine höhere Ausbildungsplatzvergütung sind dafür ein wichtiger erster Schritt. Auch braucht es endlich eine Reform der Grundsicherung um Armut zu beenden: Hartz IV muss in den nächsten 4 Jahren überwunden werden. Als erste Sofortmaßnahmen muss der Regelsatz um mindestens 50€ erhöht und Sanktionen endlich abgeschafft werden. Mehrbelastungen durch den CO2-Preis müssen auch über das Energiegeld hinaus kompensiert werden und zwar nicht im nachhinein, sondern direkt. Eine Kindergrundsicherung ist wichtig, um die Familien am stärksten zu unterstützen, die am wenigsten haben.

Die Mietpreise sind für viele Menschen in den Städten kaum mehr zu bezahlen. Sowohl die starken Stimmengewinne von SPD und Grünen, die mit klaren Forderungen zur Begrenzung von Mietpreisen angetreten sind, als auch die über 1.000.000 Stimmen für die Vergesellschaftung von Wohnraum, sind ein deutliches Zeichen:
Die Menschen wollen einen Paradigmenwechsel in der Mietenpolitik. Das Leben vieler Menschen wird besser durch eine Deckelung und Begrenzung von Mietpreisen und eine stärkere Förderung der Schaffung günstigen Wohnraums in öffentlicher und genossenschaftlicher Hand.

Wenn wir soziale Gerechtigkeit für alle Menschen anstreben, bedeutet dies auch Gesundheit und Pflege für alle Menschen gleichermaßen zu ermöglichen. Im aktuellen System werden allerdings die Profite Einzelner über die Gesundheit der Vielen und das Wohl der Beschäftigten im Gesundheitssektor gestellt. Deshalb müssen wir jetzt die Weichen stellen für einen Strukturwandel im Gesundheitssystem mit gerechter Finanzierung, ohne Fallpauschalen, mit einer Bürger*innenversicherung und mit der Deckelung von Eigenanteilen in der stationären Langzeitpflege. Gleichzeitig müssen wir besonders die Pflege als Beruf fördern, indem wir für bessere Löhne, Arbeits- und Ausbildungsbedingungen sorgen. Dafür braucht es eine gesetzliche Personalmessung in allen Bereichen der
pflegerischen Versorgung und politisches Mitbestimmungsrecht auf allen Ebenen.

Es sind Frauen, trans Personen, Menschen mit Migrationsgeschichte, und Menschen mit Behinderung, die die miesesten Löhne bekommen, um deren Gesundheit sich am wenigsten gekümmert wird und die auf dem Arbeits- und Mietmarkt diskriminiert werden. Gerade deswegen muss die nächste Bundesregierung soziale Fragen und
Fragen von Antidiskriminierung zusammen denken.

Menschenrechte sind keine Verhandlungsmasse – Freiheit
verteidigen!

Die Ära Merkel ist beendet, doch das Leid an den europäischen Außengrenzen bleibt. Nachdem die letzten Bundesregierungen jahrzehntelang Asylrechte verschärft, Abschiebungen forciert und auf europäischer Ebene Druck für eine rassistische Abschottungspolitik gemacht haben, ist es dringend an der Zeit für eine Asylpolitik, die Schutz und Sicherheit von Menschen in den Fokus rückt. Die Kriminalisierung von Seenotrettungsorganisationen muss auf europäischer Ebene beendet, Massenlager aufgelöst und illegale Pushbacks beendet werden. Es braucht
sichere und legale Fluchtwege und erhöhte Aufnahmekapazitäten für Schutzsuchende. Kein „Sicherer Hafen“ darf mehr an der Aufnahme von Geflüchteten gehindert werden. Kurz: Menschenrechte müssen sofort in den Mittelpunkt deutscher Politik gerückt werden. Das bedeutet auch, Angriffskriege wie den türkischen Angriff auf Rojava nicht länger zu akzeptieren und Konflikte nicht mit deutschen Rüstungsexporten weiter zu befeuern.

Migration und eine vielfältige Gesellschaft sind kein Sicherheitsproblem. Die Bereiche Migration und Flucht sollen mit anderen Themen einer vielfältigen Gesellschaft aus dem Innenministerium herausgelöst werden.

Es braucht eine feministische Bundesregierung: Dazu gehört mehr als Frauen in Spitzenpositionen und ein quotiertes Kabinett, sondern endlich auch gleiche Löhne für gleiche Arbeit und eine konsequente Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, inter und trans Personen. Außerdem müssen Schwangere endlich selbst über
ihren eigenen Körper entscheiden können und Ärzt*innen frei über die Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs informieren, statt dafür kriminalisiert zu werden!

Die Selbstbestimmung von inter und trans Personen ist längst überfällig, wurde jedoch bisher immer wieder von Konservativen blockiert. Eine neue Bundesregierung muss das diskriminierende Transsexuellengesetz abschaffen und endlich die Selbstbestimmung über den eigenen Körper vollumfänglich ermöglichen. Hier geht es um ein Menschenrecht!

In Sachsen und Thüringen wurde die AfD stärkste Kraft. Das und die rechtsterroristischen Anschläge der letzten Jahre müssen Folgen haben: Die Verharmlosung von Rechtsradikalismus muss enden. Die nächste Bundesregierung
muss den Kampf gegen rechts endlich ernst nehmen, Opfer und Betroffene rechter Gewalt unterstützen und die wichtige Arbeit von zivilgesellschaftlichen Initiativen nicht länger kriminalisieren, sondern mit einem
Demokratiefördergesetz unterstützen.

Zugleich müssen rechte Tendenzen in den eigenen Sicherheitsbehörden konsequent aufgedeckt und bekämpft werden. Es braucht grundlegende Reformen bei Polizei und Verfassungsschutz, um die dortigen strukturellen Probleme zu beseitigen und eine rechtsstaatliche Kontrolle der Institutionen sicherzustellen, was auch den Abbau
der Überwachungsmaßnahmen beinhaltet. Die nächste Regierung muss eine Regierung der Bürger*innenrechte werden.

Für eine neue Bundesregierung gibt es viel zu tun. In den nächsten vier Jahren wird sich zeigen, ob Politik wieder für Menschen gemacht wird und die Weichen Richtung Zukunft gestellt werden. Eine grüne Regierungsbeteiligung kann nötige Veränderung anstoßen, wird das aber nicht allein schaffen. Wir müssen als Grüne Jugend auf der Straße, mit Bündnissen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen laut sein für radikalen Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und eine Gesellschaft der Vielen. Lasst uns in den nächsten vier Jahren alles geben und eine Welt
bauen, die Zukunft hat!



← zurück